Björn Fecker hielt in der 25. Sitzung der Bremischen Bürgerschaft am 16.04.2021 eine Rede über notwendige Maßnahmen, um die 3. Corona-Welle zu brechen.
Sehr geehrter Herr Präsident,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
die Lage ist nicht nur ernst, die Lage ist dramatisch. Die Berichte, die uns deutschlandweit über die Belegung der Intensivbetten erreichen, über die Arbeitssituation auf den Stationen und auf fehlendes Personal für die Mobilisierung zusätzlicher Intensivbetten macht deutlich, unser ganzes Land steht vor der wohl größten Herausforderung seit Auftreten des Corona-Virus.
79.381 Covid-19-Todesfälle meldet das Robert Koch Institut gestern Abend. Die Zahl der Neuinfektionen lag gestern Abend bei 29.426 Fällen. Bei den Betroffenen handelt es sich in großer Anzahl nicht mehr um die Gruppe der über 80jährigen. Am stärksten betroffen sind in Deutschland die Altersgruppen der 15 bis 34jährigen und der 35 bis 59jährigen. Auch hier häufen sich die Berichte von schweren Verläufen und Langzeitschäden.
Betrachtet man diese Zahlen, nimmt hinzu, dass die Intensivstationen immer erst mit einem gewissen zeitlichen Verzug die Entwicklung nachverfolgen, dann wissen wir alle, dass im schlimmsten Fall schwierigste Entscheidungen auf Ärztinnen und Ärzte warten.
Meine Damen und Herren, gleichzeitig zu diesen Zahlen stellen wir eine Verschiebung des politischen Diskurses fest. War vorher der Inzidenzwert 50 die magische Grenze, so entsteht bei uns der Eindruck, als wäre der Inzidenzwert 100 das neue „Normal“. Diese Entwicklung treibt uns mit Sorge um. Die Zielsetzung kann eben nicht heißen, dass wir immer knapp um die 100 pendeln. Die Zielsetzung kann eben nicht heißen, dass wir mal auf und zu machen und im Übrigen auf gutes Wetter hoffen.
Aus Grüner Sicht braucht es jetzt eine gemeinsame Kraftanstrengung und eine Niedriginzidenzstrategie. Wir müssen wieder deutlich runter unter die 50, und wir müssen auch unter die 35 kommen. Die Verbreitung der Mutationen macht doch deutlich, dass es ansonsten noch weiter nach oben geht und es nur eine Frage kürzester Zeit ist, bis wir die 200 reißen mit allen jetzt schon absehbaren Folgen.
Die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass diese Niedriginzidenzstrategie hilft, die Pandemie erfolgreich einzudämmen.
Auch die Debatte um den Inzidenzwert an sich ist es wert, geführt zu werden. Aber auch da habe ich den Eindruck, dass es immer einseitig darum geht, eine Öffnung zu legitimieren als andersrum auch zu sagen, in Kombination mit der Auslastung der Krankenhausbetten kann sogar ein früheres Eingreifen trotz geringerer Inzidenz notwendig sein.
Wir empfinden den Antrag der CDU als das total falsche Signal zur vollkommen falschen Zeit und werden ihn auch ablehnen. Natürlich muss man sich vorbereiten. Aber dieser Arbeitsprozess ist doch auch längst angestoßen worden. Aber bevor wir die Öffnungen regeln, müssen wir doch eher darüber diskutieren, welche Maßnahmen helfen, die Infektionszahlen zu senken und damit auch perspektivisch die Krankenhäuser wieder zu entlasten.
Dazu gehört für uns ein wirksamer und solidarischer Lockdown. Die bisherigen Maßnahmen reichen offensichtlich eben nicht aus, um diese dramatische Welle zu brechen.
Es besteht doch die Gefahr, dass durch weitere Mutationen der Impferfolg, der zweifellos in den vergangenen Wochen erfreulicherweise gelungen ist, dass dieser Erfolg durch neue Mutationen zunichte gemacht wird. Das müssen wir gemeinsam mit aller Kraft verhindern.
Und alles, was ich von der Neuregelung des Bundesinfektionsschutzgesetzes lese, entspricht für mich weder einem wirksamen noch einem solidarischen Lockdown.
Meine Damen und Herren, was hier konkret betrieben wird, ist eine Privatisierung der Pandemiebekämpfung. Der bisherige Gesetzentwurf der Großen Koalition belastet einseitig das Privatleben der Menschen, greift unverhältnismäßig in die Grundrechte ein und es besteht die Gefahr, dass sich Menschen von der Politik abwenden.
Und ich bin mir sicher, die große Anzahl der Menschen in diesem Land ist bereit, noch einmal die letzten Reserven zu mobilisieren, noch einmal mitzuhelfen, dieses Virus zu bekämpfen, wenn die Menschen das Gefühl hätten, dass es eine gemeinsame, eine solidarische Kraftanstrengung ist.
Während die Bundesregierung mit aller gesetzlichen Schärfe gegen das Privat- und Familienleben vorgeht, wird im Bereich der Wirtschaft nur mit halbgaren Verordnungen gearbeitet. Das ist weder solidarisch, noch ist es wirksam.
Warum steht die Home Office Pflicht eigentlich nicht im Gesetz? Was passiert eigentlich, wenn man dagegen verstößt?
Aber, Home Office ist, das wissen wir auch, nicht überall möglich. Das heißt für zigtausende Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt es gar keine Möglichkeit, von daheim zu arbeiten. Sie müssen ran. Und genau die haben es doch verdient, dass der Arbeitgeber und wenn der es nicht tut, dann eben der Staat den bestmöglichen Arbeitsschutz gewährleistet. Und deswegen muss überall da, wo Home Office nicht möglich ist, verbindlich und verlässlich getestet werden. Die Verordnung mit der Angebotspflicht ist ungenügend. Die Testpflicht muss in das Infektionsschutzgesetz aufgenommen werden.
Um das auch zu sagen: Wir sind enttäuscht über die Tatsache, dass Arbeitgeber – und Unternehmerverbände gegen eine Testpflicht Sturm laufen.
Da geht es übrigens eben um Solidarität. Um Solidarität mit all den Betrieben, die seit Monaten geschlossen sind, um Solidarität mit den unzähligen Beschäftigten, die seit Monaten vom Kurzarbeitergeld leben müssen. Auch die haben es verdient, dass wir alles tun, um wirksam und solidarisch diese Pandemie zu bekämpfen.
Und deswegen finden wir Grünen auch die Testpflicht an Schulen richtig. Es ist das Wesen des Rechtsstaats, dass man sich gegen staatliches Handeln gerichtlich zur Wehr setzen kann. Ich will das auch gar nicht weiter beurteilen oder gar verurteilen. Aber, Auch da geht es um Solidarität. Solidarität mit Lehrkräften und Mitschülerinnen und Mitschülern und deren Familien. In diesem Zusammenhang erreichen uns alle ja eine Menge Schreiben. Ich lese sie alle. Deswegen möchte ich auch sehr deutlich hier öffentlich unsere Position klar machen. Wir stehen zur Testpflicht, wir halten sie nicht für einen Verstoß gegen das Grundgesetz oder gegen die Menschenwürde. Und was sie unter gar keinen Umständen ist, sie ist nicht vergleichbar mit Maßnahmen in Deutschland während der Nazi-Diktatur.
Meine Damen und Herren, wir kommen nicht umhin uns als Politik mit der Frage des Umgangs mit geimpften Menschen auseinanderzusetzen. Da wird immer von Sonderrechten in diesem Zusammenhang gesprochen. Ganz deutlich: Es geht nicht darum, Menschen zusätzliche besondere Rechte zu geben, sondern um die Frage ob die Einschränkung ihrer Grundrechte noch gerechtfertigt ist. Grundrechte sind eben keine Sonderrechte. Und deswegen ist es zwangsläufig, dass diese Frage auch durch den Bundestag beantwortet werden muss. Da braucht es eine sehr dezidierte Betrachtung jeder einzelnen Frage, ob der Eingriff in das Grundrecht noch zu rechtfertigen ist. Für saloppe Aussagen eignet sich das nicht.
Ich finde es richtig, dass es eine bundeseinheitliche Regelung im Bundesinfektionsschutzgesetz gibt. Ich sehe darin keine Entmachtung der Länder sondern eine sehr notwendige Bündelung. Und es ist richtig, dass endlich der Deutsche Bundestag die Entscheidungen diskutiert und beschließt. Und deswegen hoffe ich auch, dass a) alle Fraktionen mit Ausnahme der Rechtsextremisten an einer konstruktiven Lösung jetzt im Gesetzgebungsverfahren zusammenarbeiten und b) das Gesetz anschließend genau deswegen deutlich besser, solidarischer und wirksamer ist, als es derzeit der Fall ist.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.